Wasserspiele mit Herrn Jerry

Wasserspiele mit Herrn Jerry

“…der drohende Blick, die düstere Stirn, die zuckenden Hände, die auffallende Gesichtsfarbe, das krampfhafte Atemholen, so finden sich die nämlichen Kennzeichen auch an den Zornigen…” dröhnte die knarzende Stimme des Dieners durchs Haus.

Sichtlich ergriffen legte er Senecas Abhandlungen über den Zorn zur Seite. “Ein wahrhaft meisterlich geschriebenes Werk. In jeder Zeile erkenne ich mich wieder” rief er begeistert aus und dachte einige Zeit angestrengt darüber nach, wie eine Grünteesorte wohl zu solch literarischen Höchstleistungen fähig sein konnte. Allgemeines erleichtertes Aufatmen ging durch die Runde der Katzenschaften. Endlich hielt er, der Diener, seine Klappe. Herr Kalle fuhr seine krampfhaft tief in die Kratzsäule gebohrten Krallen ein, Frau Louise seufzte leise, Frau Nati und Herr Jerry kamen unter der schützenden Decke hervorgekrochen und Herr Stitch schnarchte vernehmlich vor dem Kaminofen.

Der Diener schritt in den hinteren Bereich der Küche, um sich am Handwaschbecken die von der aufregenden Lektüre schweißnassen Hände zu waschen. Kaum ließ er das Wasser laufen, sprang ein grau-weiß getigerter Blitz in besagtes Waschbecken und schickte sich an, mit dem Wasserstrahl zu spielen. Der Diener setzte ihn wieder auf den Fußboden, wo Herr Jerry jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde blieb. Augenblicklich sprang er wieder in das Waschbecken und das Spiel mit dem Wasser begann von Neuem. Der Diener seufzte, drehte den Wasserhahn so weit zu, dass nur noch ein sanftes Rinnsal floss, begab sich ins Bad, um sich eben dort die Hände zu reinigen. Als er zurückkam, spielte der Kater noch immer freudig mit dem Wasserstrahl. Kopfschüttelnd begab er sich wieder ins Wohnzimmer.

Als Herr Jerry offensichtlich genug hatte, sprang er freudig gurrend auf den Schoß des Dieners. Dieser wunderte sich kurz ob der Nässe, die er verspürte. Hatte er seine Windel… Nein, das konnte nicht sein. Die Ursache waren Herrn Jerrys Pfötchen. Er stand auf, um zu schauen, ob der kleine, vorwitzige Kater vielleicht ein paar winzige Wassertropfen hinterlassen hatte. In der Küche angekommen traf ihn augenblicklich der Schlag. Sein Blick verfinsterte sich, tiefe Zornesfalten furchten die Stirn, die Hände zuckten, seine Gesichtsfarbe nahm einen ungesund roten Farbton an, der Atem ging gepresst und stoßweise.

“Ach, hätte er doch nur mehr als die ersten beiden Absätze gelesen und verinnerlicht” murmelte Herr Stitch, seufzte und rollte sich wieder vor dem Ofen ein während der Diener, mit Wischzeug und Handtuch bewaffnet, laut fluchend und üble Verwünschungen ausstoßend, deren Wiedergabe sich hier aus Jugendschutz- sowie strafrechtlichen Gründen verbietet, eine große Menge überschüssiges Wasser sowie schmutzige Pfotenspuren von Schränken, Tischen und Fußboden entfernte.