Frau Nati und der Riese

Frau Nati und der Riese

Ein kleines Dorf, unweit der Grenze zum Lande Westfalen am Nordrhein. Weitläufige Natur, einige idyllische Höfe, Windräder sowie eine Bundesstraße die sich, einer Lebensader gleich, durch das gesamte Dorf zieht. Außer den üblichen Frotzeleien über die Fahrkünste der ostwestfälischen Landesnachbarn kann man hier eigentlich nichts interessantes erleben. Hier leben ganz normale Leute. Ganz normal? Nun, in jedem Dorf gibt es ihn, den Einen. Der, der als verschroben gilt. Verschlossen. Seltsam. Verrückt. So auch in diesem. Dieser Eine, der hier beschrieben wird, ist mit Leib und Seele Diener einer wohl bekannten, illustren Katzengesellschaft, zu der sich, nach den schmerzlichen Verlusten innerhalb der letzten zwei Jahre, seit einigen Tagen zwei Jungkatzen gesellten. Frau Nati und Herr Jeremie, genannt Jerry.

Frau Nati, eine junge Katzendame in elegantem, schwarzen Fellkleid, welches in der Sonne in einem zarten rötlichbraun schimmert, war in den letzten Tagen zufrieden mit sich und ihrer Welt. Seit einigen Tagen war dies nun ihr neues Zuhause und sie hatte alles, was sie sich je erträumte. Viel Platz, unzählige Kratzmöglichkeiten, Spielzeuge und viele gemütliche Ruheplätze, darunter unter Anderem einen Kaminofen mit einer luxuriösen, großen, dicken und unglaublich flauschigen Decke mit Raschelfolieneinlage davor.

So döste sie nun, während der Diener, sich auf dem Sofa fläzend, seiner neuesten Leidenschaft, der Lektüre philosophischer Schriften (die er selbstredend nicht verstand) frönte, nach einem äußerst ertragreichen und anstrengendem Tag friedlich auf der bereits erwähnten luxuriösen Decke vor dem Kaminofen und träumte selig von jenem stattlichen, rot-weißen Kater mit dem wohlklingenden Namen „Kalle“, der umgehend die Flucht ergriff sobald er dieses aufdringliche kleine, schwarze Etwas erblickte, was sie aber nicht daran hinderte ihm immer wieder auf das weiche, plüschige Fell zu rücken und dies obwohl besagter Herr schon in den mittleren Jahren weilte während sie noch dem jugendlichen Leichtsinn anheimfiel, als sie plötzlich von einem unangenehmen Geruch geweckt wurde. Sie spürte einen starken Sog, der ihr das Fell von den Ohren zu ziehen drohte.

Frau Nati war außer sich ob dieser Störung ihres dringend benötigten Schlafes. „Ich verbitte mir dieses impertinente…“ wollte sie soeben aufbegehren, bekam allerdings, neben weit aufgerissenen Augen, nur ein kaum hörbares, zartes „mi…“ heraus, als sie entdeckte was diesen Sog verursachte. Eine riesige Nase, die zu einem noch riesigeren, offensichtlich sehr alten Kater von schwarz-weißer Gestalt gehörte, tauchte vor ihrem grazilen Gesicht auf. Eine unangenehm in den Ohren schmerzende Stimme, Fingernägeln auf einer Schieferplatte gleich, fragte „Wer bist du? Und… Was bist du?“ Schnaufender, heißer und fauliger Atem schlug ihr entgegen. Frau Nati verfiel augenblicklich in eine Schockstarre und war unfähig zu antworten. Abwartend schaute der alte Kater sie an und wog sorgfältig ab, ob dieses kleine, schwarze Etwas nun wohl essbar war oder nicht. Schließlich blinzelte er ihr langsam zu und zog von Dannen.

„Ratten. Ratten, die nach kleiner Katze riechen. Was es in diesem Haushalt nicht alles gibt…“ dachte der alte Kater, trottete langsam und gemächlich in Richtung Küche davon und hinterließ eine kleine schwarze Katze die, völlig verstört, zwischen Unsicherheit und Empörung schwankte sowie einen Diener der sich, in schallendes Gelächter ausbrechend, am Boden kugelte.